Update am
27.11.2010
SPIEGEL ONLINE
23. Juni 2010, 11:27 Uhr
Tierversuche in Bremen
Behörde müht sich um Verbot für Experimente mit
Affen
Nächste Runde im Streit um Tierversuche an der Universität
Bremen: Nachdem ein Gericht das Verbot der Experimente gekippt
hatte, legt die zuständige Behörde nun Berufung gegen
das Urteil ein. Es gebe einen Wertewandel.
Bremen - Die Bremer Gesundheitsbehörde legt
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen zu den umstrittenen
Affenversuchen an der Universität Bremen Berufung ein. Das
Verwaltungsgericht hatte Ende Mai den ablehnenden Bescheid der
Behörde für die Affenexperimente aufgehoben. Die Behörde
muss nach Auffassung des Gerichts ergänzende Gutachten einholen.
Erst dann dürfe sie über den Genehmigungsantrag der
Universität erneut entscheiden.
Das Gesundheitsressort hatte 2008 dem Bremer Hirnforscher
Andreas Kreiter nach mehr als zehn Jahren die Genehmigung für
seine Affenversuche aus ethischen Gründen nicht mehr verlängert.
Unter anderem begründete die Behörde dies mit dem Wertewandel
in der Gesellschaft. Gegen das Verbot hatte der Wissenschaftler
geklagt.
Die Bremer Behörde attackierte das Gericht
wegen der Aufhebung des Verbots: Staatsrat Hermann Schulte-Sasse
kritisierte die Ansicht des Gerichts, die Behörde habe keinen
Ermessensspielraum bei der Abwägung zwischen Belastung der
Tiere und Nutzen der Versuche.
Zudem akzeptiere er nicht, dass die Behörde
nicht den gesellschaftlichen Wertewandel in ihre Entscheidung
einbeziehen dürfe, den es beim Tierschutz gebe. Bei anderen
gesellschaftlichen Entwicklungen sei der Wertewandel durchaus
bei gerichtlichen Entscheidungen berücksichtigt worden, sagte
der Staatsrat. Als Beispiel führte er den Paragrafen 218
zum Schwangerschaftsabbruch an.
Schulte-Sasse kündigte an, trotz eingelegter
Berufung werde die Behörde der Aufforderung nachkommen, ergänzende
Gutachten einzuholen. Die Frage der Belastung der Tiere und die
Bedeutung des Forschungsvorhabens würden genauer untersucht.
boj/ddp
URL:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,702331,00.html
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28. Mai 2010
Gerichtsverhandlung über Bremer Hirnversuche an Affen:
Affenqual geht weiter
Als Ergebnis der heutigen Verhandlung am Bremer Verwaltungsgericht
im Fall der Affenversuche von Prof. Kreiter hat das Gericht den
Ablehnungsbescheid der Genehmigungsbehörde aufgehoben, der
dem Forscher eine Fortführung seiner Tierversuche untersagt
hatte. Kreiter hatte dagegen Klage erhoben. Das Gericht gab der
Behörde auf, die Ablehnung neu zu begründen. Nach Ansicht
des Vereins Ärzte gegen Tierversuche ist ein klares Aus für
diese Versuche notwendig, da einem nachweislich fehlenden medizinischen
Nutzen großes Leid für die Tiere gegenübersteht.
Er sieht in den Hirnversuchen an Affen einen Verstoß gegen
geltendes Tierschutzrecht.
Die Gerichtsverhandlung offenbart sich nach Aussage
der Ärzte gegen Tierversuche als Armutszeugnis für die
deutsche Justiz. »Die Richter haben das Staatsziel Tierschutz
mit keinem Wort erwähnt und zeigen sich eher den Interessen
der Universität zugeneigt«, berichtet Tierärztin
Dr. Corina Gericke von der Ärztevereinigung, die vor Ort
der Verhandlung beiwohnte. »Es ist unfassbar, dass das Gericht
der Freiheit der Forschung offenbar einen höheren Rang einräumt
als dem seit 2002 gleichwertig im Grundgesetz verankerten Tierschutz«,
kritisiert Gericke.
Über das Eilverfahren, mit dem Kreiter erlaubt
wurde, seine Versuche vorübergehend fortzuführen, wurde
noch nicht entschieden. Das heißt, die Tierversuche gehen
bis zu einer Entscheidung in diesem Verfahren weiter.
Das Gericht hat hinsichtlich der Genehmigung den
Ball an die Behörde zurückgespielt. Diese muss nun unter
Berücksichtigung der Vorgaben des Gerichts neue Gründe
für den Ablehnungsbescheid beibringen. Die Behörde muss
durch Gutachten die Belastung der Tiere sowie die Bedeutung des
Forschungsvorhabens klären. Das Gericht gab der Genehmigungsbehörde
zudem auf, zu prüfen, ob durch geeignete Nebenbestimmungen,
wie beispielsweise Auflagen, eine Genehmigungsfähigkeit geschaffen
werden kann.
Nach Aussage der Ärzte gegen Tierversuche kann
es solche Auflagen für eine Genehmigungsfähigkeit nicht
geben, da die Versuche für die Tiere äußerst leidvoll
sind, gegenüber einer ergebnisfreien Forschung. Der Verein
kritisiert, dass die besonders qualvolle und medizinisch irrelevante
Forschung am Affenhirn weitergehen darf. Die Ärztevereinigung
findet es unverständlich, dass die Richter trotz erdrückender
Beweislage für die ethische Unvertretbarkeit der Affenhirnforschung
und fehlendem medizinischen Nutzen, noch immer kein klares Urteil
gegen die Tierversuche gefällt haben.
»Im Namen der zweckfreien Grundlagenforschung
werden die Affen stundenlang bewegungsunfähig fixiert, ihr
Hirn wird aufgebohrt um Messelektroden einzuführen und sie
müssen Durstqualen erleiden, nur weil einzelne Forscher wissen
wollen, wie ein Affenhirn funktioniert«, moniert Gericke.
Für den medizinischen Fortschritt ist diese Forschung irrelevant,
da eine zuverlässige Übertragung von Erkenntnissen aus
der Affenforschung auf den Menschen nicht möglich ist, erläutert
die Ärztevereinigung.
Die Ärzte gegen Tierversuche zeigen sich erschüttert,
dass wieder einmal die Interessen der mächtigen Tierexperimentatorenlobby
auf Kosten von Tier und Mensch zu siegen scheinen. Würde
das Gericht das Tierschutzgesetz anwenden und das Staatsziel Tierschutz
berücksichtigen, wäre die einzig logische Konsequenz
ein sofortiges Verbot der Affenhirnforschung, ist sich die Ärztevereinigung
sicher. Denn auch nach über 15 Jahren sei nachweislich kein
medizinischer Nutzen erkennbar, das Leid der Tiere indes sei immens.
Die zuständige Behörde hatte Mut bewiesen und den Versuchen
aus ethischen Gründen und mangels medizinischen Nutzens keine
weitere Genehmigung erteilt und hatte dies in ihrem Widerspruch
umfangreich begründet.
Die Ärzte gegen Tierversuche betonen, wie wichtig
es ist, dass die Genehmigungsbehörde weiterhin Rückgrat
zeigt und unterstützen deren Widerspruch. Der Verein appelliert
an die Behörde, im weiteren Verfahren an den klaren Belegen
gegen die Affenhirnforschung festzuhalten.
Weitere Information über Affenversuche:
Pressemitteilung vom 19. Mai 2010 >>
Der Fall Bremen >>
Hirnforschung an Affen - grausam und sinnlos >>
Affenversuche in Bremen - 14.08.2009 - 5 Kommentare
Hirnforscher will Gespräche fortführen:
Mehr hier...
Behörde lehnt Affenversuche erneut
ab: Mehr
hier...
http://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/
REACH seit zwei Jahren in Kraft:
Ärzte gegen Tierversuche fordern moderne Chemikalienpolitik
ohne Tierversuche
In diesen Tagen ist das europäische Chemikalientestprogramm
REACH seit zwei Jahren in Kraft. Es schreibt vor, alle Altchemikalien,
das heißt, Chemikalien, die vor 1981 auf den Markt kamen,
daraufhin zu prüfen, ob sie für Mensch oder Umwelt schädlich
sind. Hierfür sind in großem Stil Tierversuche vorgesehen.
Die bundesweit tätige Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche
fordert eine moderne Chemikalienpolitik, die sich die große
Bandbreite intelligenter tierversuchsfreier Prüfstrategien
konsequent zu Nutze macht.
Ursprünglich ging die Politik von rund 30.000
zu testenden Altchemikalien aus. Tatsächlich haben jedoch
im Rahmen von REACH 65.000 Firmen rund 150.000 Substanzen vorregistriert.
Zurzeit wird bei der Europäischen Chemikalienbehörde
ECHA in Helsinki geprüft, welche dieser Chemikalien mehrfach
registriert wurden. Firmen, die die gleichen Substanzen herstellen,
müssen sich zu Konsortien zusammenschließen, um Doppelversuche
zu vermeiden. Derzeit ist noch unklar, wie viele Tierversuche
für wie viele Chemikalien durchgeführt werden. Schätzungen
gingen von bis zu 45 Millionen Wirbeltieren, vor allem Ratten
und Mäusen, aus.
Laut Ärzte gegen Tierversuche sind diese Giftigkeitsprüfungen
nicht nur äußerst grausam, sondern auch vollkommen
ungeeignet, um Mensch und Umwelt vor schädlichen Stoffen
zu schützen. Bei diesen Tests wird beispielsweise eine Substanz
in das Auge von Kaninchen gerieben oder per Schlundsonde in den
Magen von Tieren gepumpt. «Liest man die Versuchsbeschreibungen,
kann man kaum glauben, dass wir uns im 21. Jahrhundert befinden.
Denn die Testmethoden stammen teilweise aus den 30er/40er Jahren
des letzten Jahrhunderts und sind seither größtenteils
unverändert geblieben«, moniert Diplombiologin Silke
Bitz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ärzte gegen Tierversuche.
»Bei der Chemikalientestung wird wie auch bei der Arzneimittelprüfung
nicht berücksichtigt, ob und welche mögliche Gefahr
für den Menschen von einer Substanz ausgehen kann, sondern
es wird ein sturer Testkatalog aus Tierversuchen abgehandelt,
die erwiesenermaßen nicht geeignet sind, um Risiken für
den Verbraucher oder die Umwelt zu beurteilen«, so Bitz
weiter. Außer einer rechtlichen Absicherung für die
Firmen, falls es zu einer Umweltkatastrophe oder Todesfällen
kommt, ist nichts gewonnen.
Dass die Firmen ihre Daten austauschen und schließlich
für jede Chemikalie nur ein Datendossier einreichen müssen,
um Doppel- und Mehrfachtierversuche zu vermeiden, ist gegen den
erbitterten Widerstand der Industrie von Seiten der Tierschutzorganisationen
durchgesetzt worden. Ob und wie der Datenaustausch kontrolliert
werden kann, ist jedoch ungewiss.
Nach Ansicht der Ärztevereinigung ist es neben
der ethischen Unvertretbarkeit der Tierversuche inakzeptabel,
dass die Politik mit dieser Chemikalienverordnung das Festhalten
an veralteten Methoden schürt, anstatt einen durchdachten
Weg ganz ohne Tierversuche zu gehen. Der Verein fordert zur Risikoabschätzung
von Chemikalien die Auswertung vorhandener Daten aus menschlichen
Vergiftungsfällen und die konsequente Anwendung tierversuchsfreier
Verfahren, falls weitere Daten notwendig sind. Nur so könne
eine Sicherheitsprüfung zum Nutzen von Mensch, Tier und Umwelt
erreicht werden.
Weitere Informationen über REACH
REACH-Update April 2009 - Haben die REACH-Tierversuche schon angefangen?